Besonders die Auenlandschaften des unteren Odertals mit ihren Übergängen und Zwischenräumen von Land und Wasser bieten Lebensräume für eine einzigartige Artenvielfalt. Dabei handelt es sich nicht um eine „ursprüngliche“ Wildnis: Mit dem Umbau der Oder und dem Poldersystem ist der Fluss nicht „Naturstrom“, sondern auch „Kulturstrom“. Die Aufgabe des Menschen besteht hier in einem aktiven Schutz der Natur, damit sie sich entwickeln kann. Wenn die Oder wieder Raum für natürliche Überflutungsflächen (und damit ein intaktes Ökosystem) erhält, kann wiederum auch der Mensch am Fluss auf vielfältige Weise davon profitieren. Dabei gibt es verschiedene Interessen und Vorstellungen zur Nutzung des Flusses, die oft auch zu Konflikten führen. Klar ist jedoch: Die Menschen am Fluss müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen.
Was haben Erlen, Bachflohkrebse und Alpenstrudelwürmer gemeinsam? In einem intakten Ökosystem sind all diese Pflanzen und Tiere Teil einer komplexen Wechselwirkung. Eine Spezies wird dabei nicht gebraucht: der Mensch. Hier geht es darum, der Natur ihren Raum und ihre Zeit zu lassen, damit sich natürliche Prozesse entwickeln können. Doch ausgeschlossen sind wir deshalb nicht. Als behutsame und respektvolle Besucherinnen und Besucher duldet uns die Natur in ihrem Reich.
Eine Besonderheit der Auenlandschaft ist das ständige Wechselspiel von Land und Wasser. Durch die Dynamik von Überschwemmung und Trockenfallen hat sich eine einzigartige Pflanzen- und Tierwelt entwickelt. Man findet hier eines der artenreichsten Ökosysteme in Deutschland. Dabei verändern die Auenlandschaften ständig ihr Gesicht. Durch die Kraft des Wassers werden Ufer verschoben, bilden sich neue Wasserarme, alte werden abgeschnitten. Ständig entstehen so auf engstem Gebiet Lebensräume mit neuen Bedingungen. Die Tiere und Pflanzen haben sich an diesen Wechsel zwischen Überflutung und Austrocknung auf vielfältige Weise angepasst.
Als „Tafelsilber der deutschen Vereinigung“ wurden sie bezeichnet: die Schutzgebiete, die in einem der letzten Beschlüsse der DDR-Regierung ausgewiesen wurden. Das untere Odertal war zwar noch nicht dabei, die besondere Auenlandschaft wurde jedoch bereits für einen Nationalpark gesichert. Auf der polnischen Seite des unteren Odertals ist 1993 der Landschaftsschutzpark Dolina Dolnej Odry gegründet worden. Er schützt die nicht mehr bewirtschafteten Polderflächen zwischen Gryfino und Szczecin. 1995 erfolgte dann die offizielle Gründung des einzigen deutschen Auennationalparks im unteren Odertal. Bewohner und Landnutzer fühlten sich in der Diskussion um Nutzung und Ausrichtung des Schutzgebiets übergangen und leisteten teilweise erbitterten Widerstand gegen das Vorhaben. 1998/99 erreichten ihre Proteste einen Höhepunkt. Mit der Novellierung des Nationalparkgesetzes 2006 wird auf die verschiedenen Interessen eingegangen – ohne das Schutzziel aus den Augen zu verlieren. Mittlerweile ist die Zustimmung größer geworden.